Die Tätigkeit als Syndikusanwältin oder Syndikusanwalt dürfte zukünftig stärker in den Fokus der Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinnen rücken – denn es gibt immer mehr Unternehmen, die Volljuristinnen und Volljuristen beschäftigen. Doch was zeichnet die Arbeit überhaupt aus und wie kann man sich den Arbeitsalltag konkret vorstellen? Alexandra Milena Stojek, Fachanwältin für IT-Recht und Syndikusanwältin des Legal Tech-Unternehmens thingsTHINKING, steht im Interview Rede und Antwort.
Frau Stojek, warum haben Sie sich für eine Karriere als Syndikusanwältin bei thingsTHINKING entschieden?
Während des Rechtsreferendariats habe ich einen Master of Laws absolviert und meine Masterarbeit über das Thema Digitalisierung juristischer Arbeit geschrieben. Im Anschluss an den Master absolvierte ich den Fachanwaltskurs für Informationstechnologierecht. In meiner anwaltlichen Praxis konnte ich mich zwar im IT-Recht ausleben – Legal Tech hat mir allerdings gefehlt. Damit meine ich nicht nur den Aspekt der softwarebasierten Automatisierung juristischer Arbeit, sondern vor allem das Mindset, bestehende Arbeitsmethoden in Frage zu stellen, mit agilen Methoden schlanke Prozesse zu finden, um auf diese Weise smarte Rechtsprodukte zu einem fairen Preis anbieten zu können.
Das änderte sich, als ich 2019 das KI-Start-up thingsTHINKING kennengelernt habe. Beeindruckt hat mich die Software semantha®, die in der Lage ist, die Bedeutung eines Satzes unabhängig von der konkreten Wortwahl zu erkennen. Damit lassen sich Verträge, Ausschreibungen und viele andere umfangreiche und komplexe Texte analysieren, vergleichen und auswerten. Vor allem aber hat mich das Team von thingsTHINKING begeistert, das aus lauter intelligenten, fröhlichen und bodenständigen Menschen besteht.
Wie sieht Ihr typischer Arbeitsalltag aus?
Mein Arbeitsalltag ist sehr abwechslungsreich. Viel zu tun gibt es zum Beispiel in den Bereichen IT-Recht, Arbeitsrecht und Compliance. Die Anfragen kommen von Kolleg:innen, Interessent:innen oder Kund:innen. Zu meinen Aufgabengebieten gehört es auch, semantha® zu trainieren, wobei „trainieren“ nicht ganz korrekt ist. Semantha® arbeitet out of the box – anders als beim machine learning braucht die Software gerade keine Masse an Daten, um zu „verstehen“.
Wie arbeitet die Software semantha®?
Normalerweise betrachten Softwarelösungen einen Text wortwörtlich oder lassen nur kleine Abweichungen zu. Die Software semantha® achtet hingegen auf die Bedeutung von Textpassagen und löst sich vom Wortlaut. Damit kann das Produkt Menschen z. B. das zeitaufwendige und eintönige Bearbeiten von Verträgen oder Versicherungsbedingungen abnehmen. Semantha® verfügt über ein vorgegebenes Sprachverständnis und kann einfach mit externen Wissensquellen “ausgebildet” werden. Dadurch ist die Software beispielsweise in der Lage, Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, genauso wie kritische Passagen – oder darauf hinzuweisen, wenn wichtige Themen in einem Dokument nicht behandelt wurden.
Die Bundesrechtsanwaltskammer hat dokumentiert, dass die Zahlen zur Zulassung zum Syndikusrechtsanwalt, bzw. zur Syndikusanwältin kontinuierlich ansteigen, und teils sogar die Anträge zur Zulassung zur Rechtsanwaltschaft überholen. Was spricht aus Ihrer Sicht für den Beruf im Gegensatz zum Beruf als „klassische Anwältin“?
Das wundert mich nicht. In den meisten „klassischen“ Kanzleien herrscht nach wie vor die Attitüde, dass man auf Kosten der Work-Life-Balance möglichst viele billable hours anhäuft. Als Frau kommt dann noch erschwerend hinzu, dass in oft männlich dominierten Kanzleien kaum bis wenig Rücksicht auf das Thema Kinderbetreuung genommen wird.
Als Syndikusanwältin ist das deutlich entspannter, da man zwar interne, aber viel weniger „externe“ Fristen beachten muss und Unternehmen in Bezug auf das Thema Kinderbetreuung meist besser aufgestellt sind.
Haben Sie eine Doppelzulassung, sodass Sie zusätzlich als niedergelassene Anwältin arbeiten? Falls ja, wie bringen Sie beides unter einen Hut?
Disziplin. Anders ist das wohl nicht zu bewältigen. Die Doppelzulassung erfordert ein hohes Maß an Organisationsvermögen und Zeitmanagement. Man muss einer Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen gerecht werden. Auf der einen Seite denen des Unternehmens, deren Syndikusanwältin man ist. Auf der anderen Seite den Mandant:innen, die man als Rechtsanwältin betreut. Nicht zu unterschätzen sind auch die berufsrechtlichen Verpflichtungen, die man zu erfüllen hat. Das erfordert sowohl Absprachen mit der Kanzlei, in der ich als of Counsel (ein Berufsträger oder eine Berufsträgerin in einer Anwaltskanzlei, die nur zu bestimmten Aufgaben hinzugezogen wird, Anm. d. R.) tätig bin, als auch mit der Rechtsanwaltskammer. Man muss auch bereit sein, sich mit völlig unterschiedlichen Arbeitsweisen zu arrangieren.
Auf welche Aspekte des Berufs der Syndikusanwältin hat Sie das Studium gut vorbereitet, auf welche nicht?
Das Studium bereitet einen sehr gut auf extreme Stresssituationen vor. Im Berufsalltag sind das beispielsweise ganztätige Verhandlungen mit Auftraggebern oder über den Tag verteilt eine Vielzahl von Terminen mit unterschiedlichen Stakeholdern – und damit extrem häufige Kontextwechsel mit jeweils komplexen inhaltlichen Fragestellungen. Das Studium verhilft auch zu Disziplin und Frustrationstoleranz, was juristisches Arbeiten oftmals verlangt.
Was aber definitiv fehlt, ist eine praxisorientierte, zukunftsfähige Methodenlehre und die Vermittlung von Soft Skills. Es geht heutzutage immer weniger darum, rechtliches Wissen präsent zu haben, als vielmehr mit smarten Methoden praxistaugliche Lösungen zu finden. Rechtliche Informationen sind mittlerweile omnipräsent. Die Kunst ist vielmehr, sich die erforderlichen Informationen zu beschaffen, zu verarbeiten und daraus praktikable und wirtschaftliche Lösungen für die Mandantschaft abzuleiten. Die Lösungen müssen dabei nicht nur gefunden, sondern auch nachvollziehbar präsentiert werden können. Auch muss man ein umfassendes Verständnis von der Struktur der Organisation und ihrer Stakeholder haben, um konkrete Handlungsempfehlungen abgeben zu können. Das erfordert, dass man hinreichend eloquent ist und auf die unterschiedlichen Interessenlagen adäquat zu reagieren weiß.
Insofern halte ich das Jurastudium für dringend reformbedürftig.
Wie würden Sie Ihre Work-Life-Balance bewerten?
Mittlerweile wunderbar. Das war zu den Zeiten, in denen ich in Vollzeit als Rechtsanwältin gearbeitet habe, nicht so. Ich kann weitestgehend orts- und zeitunabhängig arbeiten und da es nicht mehr darauf ankommt, möglichst viele Stunden abzurechnen, kann ich in der Regel pünktlich Feierabend machen.
Was würden Sie Juristinnen und Juristen empfehlen, die den Karriereeinstieg als Syndikusanwalt oder Syndikusanwältin suchen?
Tatsächlich halte ich den Berufseinstieg in einer Kanzlei für vorzugswürdig. Mit dem Elfenbeintürmchenwissen aus dem Studium kommt man in einem Unternehmen, das wirtschaftliche Lösungen verlangt, nicht weit. Außerdem halte ich es gerade beim Berufseinstieg für empfehlenswert, von Anwaltskolleg:innen begleitet zu werden. Auch wenn man die Kautelarjuristerei vorzieht, so ist es für die Tätigkeit als Syndikusanwältin sehr hilfreich, wenn man auch prozessuale Kniffe beherrscht, um so auf den worst case vorbereitet zu sein. Außerdem härtet meiner Meinung nach das Arbeiten in einer Kanzlei so ab, dass man das Leben als Syndikusanwältin noch mehr genießen kann.
Frau Stojek, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Antworten.
Alexandra Milena Stojek, LL.M. ist Fachanwältin für IT-Recht, General Counsel des Deep-Tech-AI-Start-ups thingsTHINKING GmbH und Gebietsleiterin der Arbeitsgemeinschaft IT-Recht des Deutschen Anwaltvereins für den Südwesten. Darüber hinaus beschäftigt sie sich als Referentin und Autorin mit dem Thema Digitalisierung juristischer Arbeit.