Über eine Reform des Restschuldbefreiungsverfahrens und der Insolvenzverfahren natürlicher Personen wurde bereits seit einiger Zeit diskutiert. Bewegung war in die Reformbemühungen gekommen, nachdem die Richtlinie (EU) 2019/1023 über präventive Restrukturierungsrahmen forderte, dass sich Unternehmerinnen und Unternehmer innerhalb von drei Jahren entschulden können, ohne dafür wie in Deutschland bisher erforderlich, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Schulden tilgen zu müssen. Nach dem ersten Lockdown beschloss das Bundeskabinett im Juni 2020, dass die dreijährige Entschuldung schneller kommen solle, als ursprünglich vorgesehen. Kurz vor Weihnachten wurden dann mehrere Reformgesetze im Bundestag verabschiedet, die die Insolvenz natürlicher Personen betreffen. Der nachfolgende Beitrag beantwortet sechs wichtige Fragen zur aktuellen Reform.
1. Für welche Verfahren gelten die Änderungen?
Die Restschuldbefreiung kann von natürlichen Personen gemäß § 286 InsO erlangt werden, nur sie betrifft das Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung vom 22.12.2020 (BGBl. I, S. 3328). Dabei ist es unerheblich, ob der Antragsteller ein/e UnternehmerIn (IN-Verfahren bzw. Regelinsolvenzverfahren) oder ein/e VerbraucherIn (IK-Verfahren) ist. Die Reform gilt für alle natürlichen Personen, unabhängig davon, ob die Verbindlichkeiten auf einer ausgeübten Selbstständigkeit, einer ehemaligen Selbstständigkeit oder auf privaten Gründen beruhen.
Zeitlich gelten die neuen Regeln für alle Insolvenzverfahren, die nach dem 30.09.2020 beantragt wurden. Maßgeblich ist also nicht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern der Eingang des Insolvenzantrags beim Insolvenzgericht. Da das Gesetzgebungsverfahren sich im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages über mehrere Monate zog, wurde diese Rückwirkung angeordnet.
2. Wie lange dauert es bis zur Restschuldbefreiung?
Bisher sah die Insolvenzordnung vor, dass die Zeitspanne zwischen Insolvenzeröffnung und der Entscheidung über die Restschuldbefreiung, während derer der Schuldner sein pfändbares Einkommen an den Insolvenzverwalter oder Treuhänder abführen muss (Abtretungsfrist), sechs Jahre beträgt. Die neue Regelung für alle Insolvenzverfahren, die nach dem 30.09.2020 beantragt wurden, sieht die Erteilung der Restschuldbefreiung bereits nach drei Jahren vor (§ 287 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 300 Abs. 1 InsO n. F.). Wenn keine Forderungen im Verfahren angemeldet oder die Forderungen befriedigt wurden und die Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten gedeckt sind, kann die Restschuldbefreiung auch vor dem Ablauf von drei Jahren erteilt werden (§ 300 Abs. 2 InsO n. F.).
Zu beachten ist, dass die Dreijahresfrist nur für das erste nach dem 30.09.2020 beantragte Insolvenzverfahren gilt. Wurde dem Schuldner bereits einmal nach dem neuen Gesetz Restschuldbefreiung erteilt, so muss er zunächst eine Sperrfrist von elf Jahren abwarten (§ 287a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO). Außerdem dauert das zweite Insolvenzverfahren fünf Jahre § 287 Abs. 2 S. 2 InsO). Diese beiden Maßnahmen führen dazu, dass ein Schuldner grundsätzlich wie bisher erst 16 Jahre nach einer erteilten Restschuldbefreiung die erneute Restschuldbefreiung erlangen kann.
Für natürliche Personen, die zwischen dem 17.12.2019 und dem 30.09.2020 einen Insolvenzantrag gestellt haben, wurde als Kompromiss die in 2019 vom Justizministerium vorgeschlagene Staffellösung beschlossen. Danach wird die Abtretungsfrist für jeden Monat, der nach dem 17.12.2019 bis zur der Antragstellung vergangen ist, um einen Monat verkürzt. So dauert beispielsweise die Abtretungsfrist bei Antragstellung zwischen dem 17.07.2020 und 16.08.2020 fünf Jahre, zwischen dem 17.08.2020 und 16.09.2020 vier Jahre und elf Monate und zwischen dem 17.09.2020 und 30.09.2020 vier Jahre und zehn Monate (Art. 103k Abs. 2 EGInsO n. F.).
3. Was wurde bei den Obliegenheiten der Schuldner geändert?
Um die Restschuldbefreiung zu erlangen, muss der Schuldner während der Abtretungsfrist verschiedene Obliegenheiten erfüllen; verletzt er diese, kann ein Gläubiger die Versagung der Restschuldbefreiung beantragen (§§ 290, 295 ff. InsO).
Die Obliegenheiten in der Wohlverhaltensphase (§ 295 Abs. 1 InsO) wurden verschärft. Neben Erbschaften müssen jetzt auch Schenkungen zur Hälfte an den Treuhänder abgeführt werden. Zusätzlich sind Lotteriegewinne sowie der Wert anderer Gewinne an den Treuhänder herauszugeben. Der Rechtsausschuss im Deutschen Bundestag hat jedoch nach der Anhörung der Sachverständigen für die Praxis eine Erleichterung eingefügt: Von der Herausgabepflicht sind gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke und Gewinne von geringem Wert ausgenommen. Der Schuldner kann nach § 295 Abs. 1 S. 2 InsO beim Insolvenzgericht beantragen, dass ein Gegenstand aus der Herausgabeobliegenheit ausgenommen ist.
Es wurde außerdem als weitere Obliegenheit aufgenommen, dass der Schuldner in der Wohlverhaltensphase keine unangemessenen Verbindlichkeiten i. S. d. § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO begründen darf (§ 295 Abs. 1 Nr. 5 InsO n. F.).
4. Wann wird über die Restschuldbefreiung entschieden?
Nach Ablauf der Abtretungsfrist von drei Jahren (bzw. fünf in einem Zweitinsolvenzverfahren), entscheidet das Insolvenzgericht über die Erteilung der Restschuldbefreiung. Vor der Entscheidung werden die Insolvenzgläubiger, der Insolvenzverwalter oder Treuhänder und der Schuldner angehört. Unabhängig davon, wie lange der Anhörungsprozess dauert oder ob Rechtsmittel gegen den Beschluss eingelegt werden, gilt die Restschuldbefreiung bei Rechtskraft als mit Ablauf der Abtretungsfrist erteilt (§ 300 Abs. 1 S. 2 InsO n. F.). Verzögerungen gehen daher nicht zulasten des Schuldners.
Das Gericht kann schon vor Ablauf der Abtretungsfrist über die Restschuldbefreiung entscheiden, wenn im Insolvenzverfahren keine Forderungen angemeldet wurden oder wenn der Insolvenzschuldner sämtliche Insolvenzforderungen, sonstigen Masseverbindlichkeiten und Verfahrenskosten beglichen hat. Die Versagung der Restschuldbefreiung erfolgt nur auf Antrag eines Insolvenzgläubigers; es gibt keine Versagung von Amts wegen, wie dies noch im Regierungsentwurf vorgesehen war.
Mit der rechtskräftigen Erteilung der Restschuldbefreiung treten Verbote, eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit aufzunehmen oder auszuüben, die nur aufgrund der Insolvenz erlassen wurden, außer Kraft (§ 301 Abs. 4 InsO n.F.). Wurde eine Zulassung zu einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit versagt oder aufgehoben, so ist diese Zulassung jedoch neu zu erteilen. Dies gilt beispielsweise für die Zulassung als Rechtsanwalt oder die Bestellung als Steuerberater.
5. Was ist neu für Selbstständige im Insolvenzverfahren?
Schon bisher konnte der Insolvenzverwalter eine selbstständige Tätigkeit des Schuldners aus der Insolvenzmasse freigegeben (§ 35 Abs. 2 InsO). Es kam jedoch zu Unsicherheiten und Verzögerungen, wenn Insolvenzverwalter die Erklärungen erst dann abgegeben haben, wenn z. B. Steuerforderungen gegen die Insolvenzmasse festgesetzt wurden. Gleichermaßen kam es immer wieder dazu, dass Schuldner den Insolvenzverwalter verspätet über die selbstständige Tätigkeit unterrichtet haben.
Der neu eingefügte Abs. 3 in § 35 sieht jetzt vor, dass der Schuldner den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbstständigen Tätigkeit informieren muss. Wenn der Schuldner den Verwalter informiert und um die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit bittet, muss der Verwalter seinerseits unverzüglich, spätestens nach einem Monat, erklären, ob die selbstständige Tätigkeit freigegeben wird oder nicht, damit Schwebezustände vermieden werden.
Um die Insolvenzgläubiger durch die Selbstständigkeit des Schuldners nicht zu benachteiligen, muss ein selbstständiger Schuldner als Obliegenheit bereits während des Insolvenzverfahrens, aber auch in der Wohlverhaltensphase, Beträge an den Treuhänder abführen, die dem entsprechen, was er als Angestellter hätte verdienen können. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Unklarheiten darüber, wann genau der Selbstständige die Beträge abführen und wie hoch die abzuführenden Beträge sein mussten. Der Gesetzgeber hat daher die Abführungspflicht neu in § 295a InsO n.F. geregelt.
Vorgesehen ist, dass der Schuldner (wie bisher) die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen hat, als wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre, d. h. als wenn er entsprechend seiner Ausbildung angestellt tätig wäre. Klarheit wird nun hinsichtlich des Zeitpunkts der Zahlungspflicht geschaffen, denn die Zahlungen sind kalenderjährlich bis zum 31. Januar des Folgejahres zu leisten. Es stellt daher keine Verletzung einer Obliegenheit dar, wenn der Schuldner saisonal abhängig unterschiedliche bzw. zeitweilig keine Beiträge abgeführt, solange die kalenderjährliche Pflicht ordnungsgemäß erfüllt wird.
Auf Antrag des Schuldners hat das Insolvenzgericht festzustellen, in welcher Höhe Zahlungen zu leisten sind (§ 295a Abs. 2 InsO n. F). Der Schuldner muss dazu die Höhe der Bezüge, die er aus einem angemessenen Dienstverhältnis erzielen könnte, glaubhaft machen. Der Treuhänder und die Insolvenzgläubiger sind vor der Entscheidung anzuhören. Gegen die Entscheidung steht dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu. Die Regelungen des § 295a InsO gelten auch im eröffneten Insolvenzverfahren (§ 35 Abs. 2 S. 2 InsO).
6. Was ist sonst noch neu?
Im ebenfalls am 22.12.2020 verabschiedeten Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG, BGBl. I S. 3256) wird neben der Neuregelung des § 35 InsO auch die Insolvenzverwaltervergütung für Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2021 beantragt werden, angehoben. Außerdem wird durch § 245a InsO n. F. die Insolvenzplanaufstellung im Verfahren von natürlichen Personen erleichtert, da nun wie im Schuldenbereinigungsplanverfahren (dort in § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 2. HS InsO) auch bei Beurteilung des Insolvenzplans die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich sind.
Da sich die Übergangsfristen im SanInsFoG und bei der Restschuldbefreiungsreform unterscheiden, wird es für Beraterinnen und Berater von Schuldnern und Gläubigern in den nächsten Monaten wichtig sein, sich über die jeweils aktuelle Rechtslage und das jeweils geltende Recht genau zu informieren.
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