Berufsgeheimnisträger erhalten mehr Freiraum

Rechtsanwälte sind von Berufs wegen schweigepflichtig. Das deutsche Recht scheint lange Zeit von folgender Vorstellung geleitet worden zu sein: Rechtsanwälte sitzen allein in ihren Kanzleiräumen und bearbeiten jede Aufgabe innerhalb eines Mandatsverhältnisses komplett selbst. Die Einschaltung Dritter war wegen der Verpflichtung zur Verschwiegenheit undenkbar und deshalb nicht vorgesehen. Die Weitergabe von Informationen war sogar strikt unter Strafe gestellt. Die Praxis zeigte jedoch, dass diese Arbeitsweise wenig sinnvoll und vor allem sehr unwirtschaftlich ist.

Daher wurden regelmäßig kanzleiinterne oder externe Dritte hinzugezogen. Darunter fallen insbesondere Referendare, wissenschaftliche Mitarbeiter, studentische Hilfskräfte, aber auch andere Berater und Dienstleister. Legal Tech-Startups arbeiten heute daran, solche Aufgaben mit technologiegestützten Prozessen effizienter zu gestalten oder gar zu automatisieren. Systemadministratoren der Technologieanbieter erhalten somit Zugriff auf mandatsrelevante Daten.

Geänderte Rechtslage seit 09.11.2017 – Rechtsanwälte erhalten mehr Freiraum

Die Einschaltung Dritter ist für Rechtsanwälte sehr sinnvoll und manchmal wirtschaftlich auch notwendig. Dieses Bedürfnis hat auch der Gesetzgeber wahrgenommen. Er hat das „Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen“ vom 30. Oktober 2017 erlassen und verkündet (BGBl. 2017 Teil I Nr. 71, S. 3618 ff.). Seit dem 09.11.2017 sind dessen Regelungen in Kraft. Im Wesentlichen ändert dieses Gesetzes Vorschriften des Strafgesetzbuchs (StGB) und der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), die einer Einschaltung Dritter bislang im Wege standen.

Grundsätzlich unterscheidet man im Zusammenhang mit rechtsanwaltlicher Auslagerung von Aufgaben zwischen Non-Legal und Legal Outsourcing. Unter Non-Legal Outsourcing werden Vorgänge wie Buchhaltung, IT-Systeme und nicht zuletzt auch Reinigung der Büroräume gefasst. All dies könnte ein Anwalt zwar theoretisch auch selbst erledigen – dass es jedoch Sinn macht, solche Dienstleistungen durch Dritte zu erledigen, erschließt sich unmittelbar. Gegenstand der Gesetzesänderung und dieses Artikels ist die neue Rechtslage zum Legal Outsourcing.

Denn im Bereich der (rechtlichen) Arbeit am Mandat gibt es Aufgaben, deren Auslagerung sinnvoll – und für eine wirtschaftliche Arbeitsweise – notwendig ist. Das Ausfindigmachen relevanter Urteile oder Aufsätze, die redaktionelle Arbeit an Schriftsätzen, das Ermitteln rechtlicher Streitpunkte durch Auswertung der Kommentarliteratur – all dies sind Aufgaben, die in der Mandatsarbeit anfallen können. Gerade solche Aufgaben können oft sinnvoll durch Dritte erledigt werden. Die Einbindung Dritter macht es aber auch erforderlich, ihnen vertrauliche Informationen mitzuteilen. Nach altem Recht war diese Weitergabe grundsätzlich ein Verstoß gegen Straf- und Berufsrecht. Das neue Recht kehrt diesen Grundsatz um und spricht sich für eine grundsätzliche Zulässigkeit aus.

Änderung im Strafrecht

Dreh- und Angelpunkt ist § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB, der es Rechtsanwälten verbietet, fremde Geheimnisse, die ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut wurden, zu offenbaren. Der neue § 203 Abs. 3 S. 1 StGB erlaubt nun die Weitergabe von Geheimnissen an festangestelltes Büropersonal und in der Kanzlei beschäftigte Referendare. Ergänzend erlaubt § 203 Abs. 3 S. 2 StGB auch die Offenbarung an sonstige Personen, die an der Tätigkeit des Rechtsanwalts mitwirken, „soweit dies für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der sonstigen mitwirkenden Personen erforderlich ist“. Darunter fallen externe Dienstleister, aber auch Technologieanbieter, die ggf. nur für ein bestimmtes Mandat hinzugezogen werden und gerade nicht fest angestellt sind.

Im Gegenzug zu dieser Liberalisierung sieht § 203 Abs. 4 Nr. 1 StGB eine Strafbarkeit vor, falls ein Rechtsanwalt „nicht dafür Sorge getragen hat, dass eine sonstige mitwirkende Person, […] zur Geheimhaltung verpflichtet wurde“. Auch diese mitwirkenden Personen müssen nach § 203 Abs. 4 Nr. 2 StGB Sorge für die Geheimhaltung tragen, wenn sie Dritte einschalten. Die neue Freiheit, Informationen weitergeben zu dürfen, hat also den Preis, dass ein Anwalt Vorkehrungen für die Wahrung der Vertraulichkeit treffen muss.

Anwaltliches Berufsrecht spiegelt die Änderungen des Strafrechts

Bekräftigt und unterstrichen wird das neue Strafrecht durch das neugefasste anwaltliche Berufsrecht, das die Weitergabe von mandatsrelevanten Informationen an Dritte zulässig macht, wenn die Wahrung der Vertraulichkeit sichergestellt wird. § 43a Abs. 2 BRAO wurde um entsprechende Sorgfaltsanforderungen erweitert, denen ein Anwalt beim Legal Outsourcing gerecht werden muss. Neu eingefügt wurde § 43e BRAO. Diese Vorschrift gibt Anwälten explizit die Erlaubnis, Tatsachen, die der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, an Dienstleister zu eröffnen. Allerdings muss er nach § 43e Abs. 2 BRAO diese Dienstleister sorgfältig auswählen und das Dienstverhältnis unverzüglich beenden, sobald die Vertraulichkeit durch den Dienstleister nicht (mehr) gewährleistet wird. § 43e Abs. 3 BRAO steckt einige notwendige Vertragsinhalte für die Einschaltung Dritter ab: Der Anwalt muss den Dienstleister über die Verschwiegenheitspflicht und die Folgen ihrer Verletzung belehren. Der Dienstleister muss sich verpflichten, sich Informationen nicht über das erforderliche Maß hinaus zu verschaffen. Der Dienstleister darf Dritte nur hinzuziehen, wenn dies vertraglich geregelt ist und diese Dritte sich auch zur Verschwiegenheit verpflichten. Weiterhin enthält § 43e Abs. 4 BRAO eine Regelung für internationale Mandate. Gem. § 43e Abs. 5 BRAO müssen von der Weitergabe betroffene Mandanten zwingend in die Weitergabe der Informationen einwilligen.

Gesetzesänderung ermöglicht den Einsatz von Legal Tech

Das neue Recht gibt Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten mehr Freiraum für die Einschaltung Dritter, vor allem auch von Legaltech Unternehmen. Gleichzeitig erlegt es ihnen aber straf- und berufsrechtlich entsprechende Compliance-Pflichten auf. Dadurch wird das Spannungsverhältnis zwischen dem anwaltlichen Interesse an flexibler Gestaltung seines operativen Geschäfts und das Interesse des Mandanten an höchster Vertraulichkeit seiner Informationen aufgelöst. Die neue Rechtslage ermöglicht also stärker als zuvor, dass Anwälte sich bei ihrer Mandatsarbeit innovativer Lösungen wie e-profound bedienen.

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