Kanzleigründung Kanzleiübernahme

Wenn Sie – insbesondere als „junger“ Anwalt oder „junge“ Anwältin – vor der Frage stehen, etwas Anderes mit sich anzufangen, als ihr Berufsleben im Angestelltenverhältnis oder Beamtentum zu verbringen, dann sind Sie etwas ganz Besonderes.

„Warum?“ mögen Sie sich vielleicht fragen. Nun das liegt daran, dass mittlerweile 87 Prozent aller Volljuristen und Volljuristinnen, die ins Berufsleben einsteigen – (Berufseinstieg bedeutet in diesem Kontext bis achteinhalb Jahre Berufserfahrung) – den Angestelltenweg bevorzugen. D. h. nur 13 Prozent wählen den Weg der Selbstständigkeit! Dieser Anteil wurde unlängst durch Prof. Dr. Matthias Kilian (Direktor Soldan Institut) in einer Dauerstudie erhoben. Das Spannende daran ist, dass der Anteil der gleichen Gruppe 2012 noch bei 39 Prozent lag. Wieder ein Jahrzehnt davor lag er gar bei 68 Prozent!

Umso spannender ist es daher, die Optionen genauer anzusehen, die zwischen Ihnen und der direkten Selbständigkeit liegen. Diese sind:

  • die eigene Kanzleigründung,
  • die Ausgründung
  • oder die Übernahme einer bestehenden Kanzlei.

Da die Bedeutung der Entscheidung für Ihre berufliche und persönliche Zukunft enorm ist, betrachten wir heute die Vor- und Nachteile der jeweiligen Optionen und haben für Sie diesen Leitfaden entwickelt.

1. Kanzleigründung: Der Start von Null

Was bedeutet das?

Sie sind für alles zuständig und bauen Ihren Traum von Grund auf. Das bedeutet, Sie entwickeln Ihre ganz eigene Geschäftsidee, Ihre Spezialisierung, die Preisgestaltung, treffen die Standortwahl und besorgen sich die erste eigene Büroausstattung inkl. Anwaltssoftware. Dann auf in die Mandantenakquise!

Kosten und Zeitaufwand

Hier gibt es keinen Standard, sondern dies hängt stark von ihren eigenen Wünschen und Möglichkeiten ab. Es gibt Neugründungen, die waren bereits operativ gewinnbringend und hatten den sogenannten Break-even-point dauerhaft hinter sich gelassen. Bedenken Sie aber bitte ebenfalls, dass dieser Weg eben anfangs teilweise nicht unerhebliche Einmalinvestitionen für Büroausstattung, Homepage oder Marketing enthält.

Vorteile einer Kanzleigründung

Diese liegen eindeutig in der maximalen Freiheit der Gestaltung. Die Welt gehört Ihnen! Jegliche Idee, die Sie immer schon hatten, können Sie verwirklichen. Keine leidigen anderen Themen fortführen, sondern Sie haben die Möglichkeit, die Kanzlei komplett auf die eigene Vision und Spezialisierung auszurichten. Mehr geht nicht!

Nachteile einer Kanzleigründung

Der genannte Vorteil bedeutet natürlich andererseits auch den schwierigen Start ohne bestehenden Mandantenstamm. Sie sitzen nicht im kalten Wasser, sondern es ist überhaupt kein Wasser in der Wanne! Dies bedeutet umgekehrt, dass Ihr Aufwand höher ist, die neue Kanzlei erst einmal bekannt zu machen.

Wann ist diese Option sinnvoll?

Wenn Sie ein Macher oder eine Macherin sind, ist das Ihre Spielwiese. Sie wissen genau, dass das, was Sie können und vorhaben, eine Nachfrage deckt. Mit anderen Worten eignet sich diese Option insbesondere für spezialisierte Anwälte und Anwältinnen mit klarer fachlicher Ausrichtung oder solche, welche diesen Weg nun beschreiten wollen. Eine weitere Option ist natürlich auch denkbar: In Ihrem Umfeld findet sich keine alternative Kanzlei zur Übernahme, die Ihren Vorstellungen entspricht.

2. Ausgründung: Der Mittelweg

Was bedeutet das?

Hiermit handelt es sich um den Weggang aus einer bestehenden und den Aufbau einer eigenen Kanzlei. Wenn Sie im Team gehen, weil Sie „mehr Luft zum Atmen“ brauchen oder doch noch den Traum aus Studienzeiten Realität werden lassen.  

Kosten und Zeitaufwand

Meist bedeutet dies geringere Anfangsschwierigkeiten, da die meisten Gründer und Gründerinnen bereits genau wissen, was sie wollen oder bereits Vorerfahrung in ihrem jeweiligen Feld haben. Oft sind bereits Netzwerke und Mandantschaft vorhanden oder es besteht aufgrund der Arbeitsbeziehung die Möglichkeit, bestehende Mandate mitzunehmen. Bitte beachten Sie hierbei aber unbedingt rechtliche und ethische Aspekte, sonst wird der Zauber des Aufbruchs schnell getrübt. Die Dauer für die Etablierung ist abhängig von der Geschwindigkeit der Etablierung und der Tiefe der (Alt-) Mandantenbindung.

Vorteile einer Ausgründung

Bestehende Mandantenbeziehungen können genutzt werden. Außerdem bedeutet es meist eine Kombination aus Eigenständigkeit und geringeren Risiken.

Nachteile einer Ausgründung

Hauptsächlicher Haken sind mögliche Konflikte mit der bisherigen Kanzlei (z. B. um Mandantenansprüche) oder auch etwaige Einschränkungen durch vertragliche Regelungen (Wettbewerbsklauseln). Prüfen Sie daher vorher noch einmal Ihre Unterlagen. Außerdem sollten Sie mit Ihrem neuen Partner oder Partnerin Gutes wie auch potenziell Negatives offen ansprechen. Wie lange halten die finanziellen Reserven, wenn es doch etwas länger dauert? Wie verhalten Sie sich, wenn nur einer von Ihnen erfolgreich ist?

Für wen ist diese Option sinnvoll?

Für Anwälte und Anwältinnen, die bereits ein Netzwerk und stabile Mandantenbeziehungen haben. Dies ist die häufigste Wahl für diejenigen, die einen schrittweisen Übergang aus dem Angestelltenverhältnis zur Selbstständigkeit bevorzugen. Der Hintergrund ist dann häufig die Verwirklichung eigener Wünsche oder Konflikte in der vorherigen Kanzlei.

3. Kanzleiübernahme: Bestehendes übernehmen und weiterführen

Was bedeutet das?

Hierbei handelt es sich um die Übernahme einer Kanzlei, die aus Alters- oder anderen Gründen abgegeben wird bzw. in den nächsten Jahren abgegeben werden soll. Aufgrund des aktuell stattfindenden massiven demografischen Wandels der Anwaltswelt werden künftig sehr viele Kanzleien vor der Frage stehen, ob Nachfolger und Nachfolgerinnen gefunden werden können.

Wichtige Punkte sind daher die Verhandlungen über den Kaufpreis, eine mögliche Übergangsphase und Mitarbeit des Vorinhabers, bzw. sonstiger einschränkender Regelungen.

Kosten und Zeitaufwand

Dieser kann sehr stark variieren. Von null Euro und der Freude, dass das Lebenswerk fortgeführt wird, über Abstandszahlungen für die Geschäftsausstattung und die Übernahme des Personals bis hin zu monetären Einmal- oder laufenden Verrentungszahlungen ist alles möglich. Mögliche Kaufpreise sind insbesondere abhängig von Standort, Größe, Mandantenstamm und Umsatz. Durch die Übernahme einer etablierten Kanzlei ist der Zeitaufwand für den Aufbau einer Mandantenbasis meist deutlich geringer.

Vorteile einer Kanzleiübernahme

Bestehender Mandantenstamm, etablierter Name, Personal und Infrastruktur ermöglichen einen schnellen Start ohne langwierige Akquisephase.

Nachteile einer Kanzleiübernahme

Häufig gibt es unterschiedliche Einschätzungen über den Wert der Kanzlei und des Mandantenstamms.

Ebenfalls ist es teilweise herausfordernd, die bestehende Mandantschaft zu halten, da in den meisten Rechtsgebieten kein repetitives Geschäft, wie z. B. bei Steuerkanzleien vorliegt.

Auch ist nicht zu unterschätzen, dass die Möglichkeit, die eigene Vorstellungen sofort umzusetzen, eingeschränkt sein können, insbesondere wenn der Exit des Verkäufers oder der Verkäuferin nicht unmittelbar, sondern ggf. erst nach einer gemeinsamen „Übergangsphase“ stattfinden soll.

Wann ist diese Option sinnvoll?

Manchmal muss es einfach schnellgehen. Dann ist dies die beste Möglichkeit für Anwälte und Anwältinnen, die sofort loslegen wollen.

Wenn alles passt: Spezialisierung, Standort, Klientel und Übergabekonditionen – dann legen Sie los!

Vergleich der Optionen: Dauer, Kosten und Herausforderungen

Dauer:

  • Gründung: Langsamster Aufbauprozess. Erfolg und Misserfolg kennen nur einen Vater/ Mutter.
  • Ausgründung: Mittel, abhängig von bestehendem Netzwerk und gleichem Einsatz aller Beteiligten.
  • Übernahme: Schnellste Möglichkeit, direkte Weiterführung

Kosten:

  • Gründung: Ggf. höhere Anfangsinvestitionen, Zwang den Break-even-point durch Mandantenakquise rasch zu erreichen
  • Ausgründung: Mittlere Kosten, vor allem für Einrichtung und Marketing. Meist raschere Amortisation durch Bekanntheit.
  • Übernahme: Ggf. höhere Anfangsinvestition (Kaufpreis), aber oft schnellerer Return durch Fortführung des Bestandsgeschäfts.

Herausforderungen:

  • Mandantenakquise: Schwerer bei Gründung, leichter bei Übernahme oder Vorerfahrung und Mitnahme von Mandaten.
  • Flexibilität der Ideenumsetzung: Am höchsten bei Neugründung, begrenzt bei Übernahme.

Was Ihnen die Entscheidungsfindung erleichtert

Fragen Sie sich ganz kritisch, in welchem Maße bestimmte Kriterien bei Ihnen erfüllt sind. Hierbei helfen bei der Entscheidungsfindung insbesondere:

  • Fachliche Spezialisierung,
  • persönlicher Ehrgeiz,
  • finanzieller Spielraum,
  • vertriebliche Kenntnis und Ansätze.

Wenn Ihnen eine konkrete Kanzlei angeboten wird, dann sehen Sie sich insbesondere die Umsatzentwicklung über mehrere Perioden genau an. Wenn Sie können, versuchen Sie diese noch weiter zu differenzieren:

  • Wie hoch ist der Anteil von Bestandsmandanten am Umsatz?
  • Ist aufgrund des hohen Alters der Bestandsmandanten mit sinkenden Umsätzen durch diese zu rechnen?
  • Wie hoch ist der durchschnittliche Umsatz je Mandat?
  • Entspricht die Kanzleiinfrastruktur Ihrem Anspruch und dem Ihrer Zielmandanten und -mandantinnen?

Im Zweifel sollten Sie sich professionelle Unterstützung (z. B. Steuerberatung, Unternehmensberatung) holen, denn Sie wollen ja mit einem guten Gefühl in das Abenteuer Ihres Lebens starten!

Fazit: Ihr individuell passender Weg in die Selbstständigkeit

Bei allen Punkten, die es zur Entscheidung zu berücksichtigen gilt: Es gibt keinen „richtigen“ Weg – sondern nur den, der zur eigenen Situation passt. Von daher heißt die Handlungsaufforderung: Erste Schritte planen und die möglichen Grenzen der Umsetzbarkeit prüfen. Merken Sie sich eins: Es gibt so viele Chancen da draußen – es ist an der Zeit, sich Ihren Anteil zu holen! Oder wollen Sie etwa einer der 87 Prozent bleiben?

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Götz F. Vinnen ist Geschäftsführer und Gründer von viax consulting. Als Wachstumsberater für Anwälte und Notare verhilft er diesen zu einer planbaren Kanzleientwicklung. Der studierte Betriebswirt und MBA berät Kanzleien im DACH-Raum bei Fragen zu Business Development, Positionierung, Kennzahlenentwicklung und Pricing.

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Bild: generiert mit ChatGPT
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