Seit einigen Jahren bin ich – neben meiner Arbeit als anwaltlicher Rechtsverdreher – auch als Kabarettist auf der Bühne unterwegs. Vor allem ältere Kollegen haben mich in der Anfangszeit dieser Doppeltätigkeit häufig gefragt: „Wenn Sie auch Kabarett machen – werden Sie dann als Anwalt überhaupt noch ernst genommen?“ Meine Antwort: „Nein. Aber wo ist der Unterschied zu den Anwälten, die KEIN Kabarett machen?“

Für mich persönlich ist es der Himmel auf Erden: Ohne Kabarett wüsste ich gar nicht wohin mit den ganzen alltäglichen Beobachtungen. Denn eines ist sicher: Kein noch so lustiger Comedy-Autor könnte die Geschichten, die einem als Anwalt im Alltag begegnen, erfinden.

Ganz besonders mag ich Gerichtstermine. Jedenfalls unter kabarettistischen Gesichtspunkten. Nicht selten frage ich mich: Bin ich gerade wirklich im Gericht? Oder doch auf der Kabarettbühne?

Gerade letzte Woche war wieder  ein solcher Termin. Der Richter – groß, stark, männlich – rief zur Sache auf. Allerdings, zur Überraschung aller im Saal Anwesenden, nicht in einer zu seiner Statur passenden, sonoren Männerstimme, sondern in einer piepsigen Sopranstimme: „Wir –pieps– kommen nun –pieps– zur Sache –piepspieps– …

Bleib ernst, versuchte ich mich zu beruhigen. Kann ja mal vorkommen, dass der Richter eine Fistelstimme hat. In meinem Kopf ging es unaufhaltsam weiter: Wie, begann ich mich zu fragen, sollte der Angeklagte diesen Richter wohl je ernstnehmen? „Ich verurteile Sie –pieps– … zum Tod!“ – „Echt jetzt?“ – „Ja!!!

Ich versuchte mich zu konzentrieren.

Die Fistelstimme war nicht das einzige Problem des Richters. Die nervösen Zuckungen in seinem Gesicht machten eine Konzentration auf meine gegenwärtige Tätigkeit und Eigenschaft als Anwalt unmöglich.

Er drehte sich zu mir und piepste: „Ihrer rechtlichen Argumentation kann ich nicht folgen“, gefolgt von einem Zucken seines rechten Auges in meine Richtung. Für mich war die Sache klar – das sollte ein Wink mit dem Zaunpfahl sein. Ich zwinkerte vielsagend zurück: „Herr Vorsitzender, das sehe ich ganz genauso!“. Endlich mal ein Richter, der mich versteht.

Der Richter, von meiner Antwort kaum beeindruckt, drehte sich zum Anwalt der Gegenseite und zuckte auch in dessen Richtung: „Auch Ihre Argumente überzeugen mich nicht!“. Der Anwalt der Gegenseite legte das Augenzucken offenbar nicht als Wink mit dem Zaunpfahl aus. Auch ich hielt es in dem Moment für unwahrscheinlich, dass der Richter durch das Zucken beide Parteien von einer Bevorteilung in Kenntnis setzen wollte. Der Kollege auf der anderen Seite ärgerte sich augenscheinlich über den richterlichen Hinweis. Das irdische Problem dabei: Er machte beim Sprechen den Mund nicht auf, was dazu führte, dass keine Vokale vernehmbar waren.

HRR VRSTZNDR, DSSHCHBRNDRS!“ schnaubte er.

Unter kabarettistischen Gesichtspunkten fühlte sich die Verhandlung mittlerweile wie ein Hauptgewinn an. Unter Berücksichtigung der Strapazen meiner juristischen Ausbildung fragte ich mich jedoch: Und dafür hast du jetzt acht Jahre studiert?

Es galt die Situation zu retten. Lachen war nicht erlaubt. Also fragte ich mich: Was für einen Tick kannst du dir jetzt einfallen lassen, damit du hier nicht auffällst?

Mir fiel glücklicherweise mein alter Lateinlehrer wieder ein, der mit seinen Mundwinkeln zucken konnte wie kein Zweiter. Dabei legte sich der ganze Hals in Falten. Ich sagte also die nächsten zweieinhalb Stunden während der Verhandlung nichts mehr, sondern reckte mein Kinn gen Himmel und ließ meine Mundwinkel und meinen Hals sprechen, wenn der Richter mich anpiepste.

Offenbar konnte ich damit die Position meiner Mandantschaft nicht retten, jedenfalls quietschte der Richter erregt: „Auch das überzeugt mich nicht!?

Es musste ein Gang härter sein. Also fing ich an zu bellen, miaute wie eine Katze, und muhte schließlich wie eine Kuh, als es um die Stellung der Anträge ging. Ich schielte in Richtung des Richters und dachte mir dabei – jetzt ist auch schon alles egal. Plötzlich und unerwartet sah mich der Richter mit leuchtenden Augen an und frohlockte im Sopran:

Jetzt verstehe ich, was Sie meinen! Das überzeugt mich! Die Sitzung ist geschlossen.

Völlig konsterniert ging ich an diesem Abend nach Hause. Meine Frau empfing mich in der Küche. Ich sagte völlig fertig: „Schatz, so etwas wie heute habe ich noch nie erlebt. Sag mal, kann es sein, dass ich der einzig normale Jurist auf dieser Welt bin?“ Meine Frau darauf unbeeindruckt: „Möchtest du wirklich eine Antwort darauf haben?“.

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